Silvia Manser
Restaurant Truube, Gais






«Es ist mir eigentlich egal, ob ich jetzt ‹Pünggt› habe oder nicht. Wenn es dann mal nicht mehr so ist, dann ist es halt nicht mehr so. Heute kommen die wenigsten Leute mit dem Guide unter dem Arm ins Restaurant.»

Silvia Manser
Restaurant Truube, Gais






«Es ist mir eigentlich egal, ob ich jetzt ‹Pünggt› habe oder nicht. Wenn es dann mal nicht mehr so ist, dann ist es halt nicht mehr so. Heute kommen die wenigsten Leute mit dem Guide unter dem Arm ins Restaurant.»

Ihre ersten Versuche am Herd machte Silvia Mosli schon als kleines Madchen in der ‹Truube›; sie kochte Tomatenspaghetti. Ihre Lehre absolvierte sie in einem guten bürgerlichen Restaurant in Urnäsch: ≪Wir hatten die unterschiedlichsten Gaste: Arbeiter, Bankangestellte, Hochzeitsfeiern, Traueressen – alles. Und natürlich einen Saal. Da kamen 20, 30 Gaste an einem Samstag, um a la carte zu essen, und gleichzeitig war noch eine Hochzeit mit 80 Personen im ersten Stock. Wenn es dann hiess ‹schicken für den Saal›, dann ging das mit dem Salat noch gut, doch dann kam der Hauptgang oder vielleicht noch ein Fisch, und die a la carte-Gaste warteten und warteten. Das konnte locker eine halbe Stunde dauern, und das ist eine lange Wartezeit, wenn man sich als Paar vielleicht nicht mehr so viel zu sagen hat. Da wurde mir bewusst, wie schade das ist, und ich dachte mir dann schon, falls ich je ein eigenes Restaurant haben sollte, dann muss es ein kleines sein.≫
Nach der Lehre besuchte sie die Hotelfachschule in Luzern und arbeitete als Praktikantin in verschiedenen Betrieben; dann ging sie auf Reisen nach Kanada und in die USA: ≪Eigentlich war ich dort, um Englisch zu lernen, und wollte auch in einem Restaurant in den Rocky Mountains arbeiten. Nach dem zweiten Aufenthalt ist mir jedoch mein Mann ‹in die Quere gekommen› und ich bin zurück in die Schweiz.≫
Die ‹Truube› war damals eine Art Quartierbeiz in Gais und wurde von ihrer Mutter geführt; der Vater war Metzger und arbeitete bei seinem Bruder in der Metzgerei. ≪Zu uns kamen viele Arbeiter zum Znüni, am Nachmittag kamen viele Gaste zum Jassen und am Abend kamen sie wieder zum Jassen, tranken Bier und Wein und rauchte ihre ‹Stumpe›. Ich fand das irgendwie schon, aber nur zum Wurstsalat verkaufen und ein Pantli (Appenzeller Rohwurst) aufschneiden – dafür habe ich mich nicht drei Jahre lang anpfeifen lassen in der Lehre!≫
Im Jahr 2000 heirateten Silvia Mosli und Thomas Manser, ein Jahr später übernahmen sie zusammen die ‹Truube›, sie als Köchin, er im Service. Zuerst nahmen sie nur kleine Veränderungen vor; das Cordon Bleu, das Zürcher Geschnetzelte und Läberli-Röschti blieben weiterhin auf der Karte, sie richteten es einfach ein bisschen schöner an. Doch nach und nach kochte sie immer mehr auch andere Gerichte, und mit der Geburt des ersten Kindes passten sie die Öffnungszeiten an. ≪Irgendwann fand ich das nicht mehr toll: Ich war um halb neun im Restaurant – offiziell geöffnet war um neun. Doch um fünf nach halb neun kam der erste herein, als ich daran war, die Kleine in einer Ecke zu stillen. Ich unterbrach und brachte einen Kaffee. Zwei Mi -nuten später kam der nächste herein. So servierte ich mit Unterbrüchen an einem Morgen fünf bis sechs Kaffees, das brachte es einfach nicht. So kam es, dass wir erst um elf Uhr öffneten.» Die Dorfbevölkerung war anfangs nicht begeistert und fand, die Mansers hätten es «höch im Kopf», da könne man nicht einmal mehr Znüni essen. Am Nachmittag kamen dann die BewohnerInnen des Altersheims, doch Silvia Manser fand irgendwann, sie wolle lieber mit dem Kinderwagen spazieren gehen, als für ein paar wenige Getränke den ganzen Nachmittag im Restaurant mit den Gästen zu jassen. Daraus folgte, dass die ‹Truube› nachmittags auch geschlossen blieb. «Da ist natürlich der nächste Aufschrei losgegangen: ‹Jetzt sind die ja völlig grössenwahnsinnig, nun haben sie am Nachmittag auch noch zu!›. Es gab schon solche, die uns gemieden haben, aber die wären irgendwann sowieso nicht mehr gekommen, weil sich auch die Speisekarte veränderte. Es gab dann nicht mehr die grossen Portionen mit dem Cordon Bleu, sondern fünf kleinere Gänge. Die Kritiker meinten, das sei nichts Rechtes, man be-komme nicht einmal genug. Und seit rund zwei Jahren haben wir am Donnerstagmittag auch zu, sodass wir jetzt zweieinhalb Tage zu haben.» Dies gibt Silvia Manser und ihrem Mann viel Freiheit und Freizeit, denn es ist oft so, dass sie auch an einem freien Tag im Restaurant sind, etwas austüfteln oder ausprobieren.
Bereits 2004 kam die erste Anerkennung durch Gault-Millau; 2015 erhielt Silvia Manser ihren ersten Michelin-Stern; 2019 gab es 16 GM-Punkte und sie ist eines der 32 Schweizer Mitglieder von ‹Jeunes Restaurateurs d’Europe›. Das sind Auszeichnungen, die auch Druck ausüben können. Doch sie findet: «Es ist mir eigentlich egal, ob ich jetzt ‹Pünggt› habe oder nicht. Wenn es dann mal nicht mehr so ist, dann ist es halt nicht mehr so. Heute kommen die wenigsten Leute mit dem Guide unter dem Arm ins Restaurant. Gut, nach dem Erhalt des Michelin-Sterns hatten wir ein bisschen mehr internationale Gäste, aus Brasilien oder von New York zum Beispiel. Die sind dann in der Schweiz, schauen in den Guide Michelin und fahren problemlos 100 km, um hierher zu kommen. Und dann finden sie es auch noch ‹cool›, dass ich eine Frau bin.» Dass das Appenzell bei vielen Schweizern das Image von Alpaufzug und Käse hat, stört sie nicht: «Wenn die Leute das Gefühl haben, die seien alle klein und ‹jööh›, dann sollen die das so haben. I bi gärn e bitz Underdog, die erleben dann schon noch ihre Überraschung. Ich gehöre nicht zu denen, die im Voraus grossartig ausrufen ‹wir sind eh die Besten und das macht niemand so wie wir› – da wür i nie mache!»
Silvia Manser verarbeitet viele Produkte aus der Region, setzt aber auch Waren ein, die von weiter weg kommen. «Ich bekomme von Bekannten, die auf Korsika ein Ferienhaus und einen grossen Garten haben, verschiedene Früchte wie Yuzu, Pomelos, Kumquats und viele Mandarinen-Sorten. Das Fleisch stammt meistens aus dem Appenzell oder mindestens aus der Schweiz.» Heute bietet sie ein Menü an mit drei Vorspeisen, drei Hauptgängen, einem Käsegang und zwei Desserts; dazu eine vegetarische Variante. «Früher hatten wir auch noch ein Überraschungsmenü. Die Leute haben das gerne bestellt, doch als sie erfuhren, was es geben sollte, ging es los: Die eine wollte ohne dies, der andere nur mit dem, der dritte auf keinen Fall so. Mein Mann kam jeweils in die Küche und fragte: ‹Was machst Du jetzt? Ich muss die Weinbegleitung aussuchen!›. Ich sagte: ‹Keine Ahnung; ich hatte dieses und jenes vorgesehen, und genau das wollen die nicht.› So haben wir das Menü festgelegt; die Gäste wissen, was es gibt, können die Gänge aussuchen und zusammenstellen.»
Für die Familie kocht sie ganz einfach und versucht, möglichst wenig Pfannen zu brauchen, damit sie nicht soviel abwaschen muss. «Ich möchte möglichst wenig Zeit in der Küche verbringen und dennoch soll das Essen gut schmecken. Oft gibt es auch eine ‹Restenverwertung› vom Wochenende. Es gibt immer Sachen, die man vorbereitet oder vorgerüstet hat und die man dann nicht verwendet hat.»
In der Freizeit sind Silvia Manser und ihr Mann gerne mit den Rennvelos unterwegs. In drei Monaten kommen bis zu 2000 km zusammen. 2021 machten sie eine Tour de Suisse, besuchten möglichst viele Restaurants mit guten Köchen und einem feinen Weinangebot, übernachteten dort und zogen am nächsten Tag weiter: «Für uns ist es sehr wichtig, dass wir einen guten Ausgleich haben.»