Raphael Wey
Gasthaus Engel
Sachseln
«Da kommen mittags alle miteinander und wollen essen, es hat ein paar Vegetarier dabei, einer leidet an Laktoseintoleranz, ein anderer sagt gleich, dass er es sehr pressant hat; das ist jeden Tag anders.»
Raphael Wey
Gasthaus Engel
Sachseln
«Da kommen mittags alle miteinander und wollen essen, es hat ein paar Vegetarier dabei, einer leidet an Laktoseintoleranz, ein anderer sagt gleich, dass er es sehr pressant hat; das ist jeden Tag anders.»
Raphael Wey musste in der zweiten Klasse einen kleinen Aufsatz schreiben zum Thema, was er werden wolle. Der Lehrer legte die Aufsätze in ein Couvert und schickte sie an seine Schülerinnen und Schüler, als sie zwanzig Jahre alt waren. Im Aufsatz vom kleinen Raphael stand, dass sein Berufswunsch Koch war. Seine Eltern hatten ein Coiffeurgeschäft, und er durfte zuhause viel kochen. Seine Grossmutter war Köchin im legendären Restaurant ‹Galliker› in Luzern, und sein Onkel brachte von seinen Reisen im Fernen Osten das Gewürz für das bekannte Gericht ‹MahMee› in die Schweiz und arbeitete dann im Restaurant ‹Clipper› in Zürich, wo es zum ersten Mal in der Schweiz eingesetzt wurde. «Das faszinierte mich natürlich, ich wollte auch Koch werden, um viel reisen zu können. Nach meiner Lehre im Restaurant ‹Spycher› in Mettmenstetten habe ich während vierzehn Jahren als Saisonkoch gearbeitet, unter anderem im Tessin, in Gstaad und in St. Moritz. Häufig war es so, dass wir während der Saison nur sehr wenig frei hatten und dafür diese Tage am Saisonende kompensierten. So konnte ich auch weite Reisen unternehmen, nach Thailand, Bali oder auf die Malediven, aber auch nach Italien oder Deutschland. Manchmal habe ich dort einen Stage gemacht und für ein paar Wochen irgendwo geholfen. Ich habe gerne als Saisonkoch gearbeitet, ich fand das immer sehr spannend. Fast alle Gäste sind in den Ferien gut gelaunt, es läuft immer etwas.» Doch irgendwann wollten Raphael Wey und seine Frau Jeannine sich an einem Ort niederlassen und übernahmen 2008 den Betrieb von Jeannines Eltern. «Am Anfang war das nicht immer einfach, denn ihre Eltern hatten zwar gut gekocht, aber halt nicht so speziell. Und jetzt kamen wir – ich noch als Luzerner – und hatten so asiatische Sachen auf der Karte. Und im Sandwich hatte es Grünzeugs drin, da gab es Bemerkungen wie ‹ich habe keinen Salat bestellt, sondern ein Sandwich›. Oder man erzählte sich, es sei ‹typisch, grosse Preise und kleine Portionen›. Die Menschen hier sind halt schon ein bisschen rauer als anderswo. Ich erinnere mich gut, wie ich auf die Terrasse kam und ‹Grüezi› sagte. Die Antwort lautete: ‹es Bier!›. So ging das rund drei Monate, bis ich fand, ich sage jetzt halt auch nicht mehr Grüezi, sondern ich fragte ‹was wottsch?›. Da kam postwendend die Rückfrage: ‹Chasch nüt Grüezi säge?!›. Ich entgegnete: ‹Ich ha jetz drei Monet Grüezi gseit…› – ‹Dasch nüd s Gliche›.»
Raphael und Jeannine Wey haben beide in der Spitzengastronomie gearbeitet; er war rund zehn Jahre im ‹Castello Seeschloss› in Ascona, wo auch Michelin-Koch Walter Klose tätig war, und sie arbeitete jahrelang im ‹Giardino› in Ascona. Raphael Wey hatte die Chance, bei Juan Amador Einblicke in die Molekularküche zu bekommen, als dieser damit seine ersten Versuche durchführte. So war es naheliegend, dass die Weys auch im Restaurant Engel diese Art von Küche anboten. «Wir setzten als erste in der Schweiz die Methoden der Molekularküche ein, bevor dies ein grosser Hype wurde. Natürlich war da viel Show dabei, doch es kam gut an, wir mussten immer mehr Menüs auf diese Weise realisieren. Das führte jedoch dazu, dass ich praktisch nur noch an den Tischen stand und mit Pipetten und Glasröhrchen hantierte, das wurde einfach zu viel. Wir reduzierten die Molekularprozesse auf das Dessert und liessen dort Trockeneis herauswabern. Doch dann wurde der Stickstoff immer teurer, und wir mussten die Flaschen immer selbst holen, weil Sachseln vom Lieferanten nicht angefahren wurde, und so haben wir damit aufgehört. Wir konnten schliesslich nicht dreissig Franken für ein Dessert verlangen.»
Raphael Wey wird schon seit längerem mit 14 Gault-Millau-Punkten benotet und hat einen Michelin Bib Gourmand. Ist das motivierend oder eher belastend? «Das ist ‹Fluch und Segen›, wie man so schön sagt. Wir haben sicher davon profitiert, weil es Leute gibt, die sich auf der Brünig-Route befinden und gegen Mittag im Navigationssystem nachsehen, ob es in der Nähe ein gut bewertetes Restaurant gibt. Andere wiederum kommen mit grossen Autos aus Hergiswil, Luzern, Küssnacht oder Meggen hierher essen, weil sie unser Restaurant in einem Gastroführer entdeckt haben. Aber im September/Oktober denkt man manchmal schon ‹hoffentlich haben wir nicht einen Punkt weniger, sondern wieder einen guten Bericht›. Aber das hat – Holz alänge – bis jetzt immer geklappt.»
Viele Gäste kommen auch nach Sachseln und in den ‹Gasthof Engel›, weil sie den Kraftort Flüeli-Ranft besuchen, wo Niklaus von Flüe gelebt hat. Man kann sowohl sein Geburts- wie sein Wohnhaus besichtigen sowie die Zelle, wohin er sich 1467 zurückzog. Zudem führt der Jakobsweg sozusagen vor dem Gasthof vorbei, und seit Hape Kerkelings Buch ‹Ich bin dann mal weg› kommen auch viele Ausländer oder Schweizer aus dem Welschland und dem Bodenseegebiet nach Sachseln. «Dieses Jahr wurde in Flüeli-Ranft eine geheime Bischofskonferenz abgehalten, und am Abend kamen der Kardinal von Rom und seine Bischöfe hier bei uns essen; es war ein Riesen-Tohuwabohu, rund 35 Sicherheitsbeamte, gepanzerte Fahrzeuge, die Strasse wurde gesperrt und überall schauten die Einwohner hinter den Vorhängen hervor. Nach der Heiligsprechung von Bruder Klaus im Jahr 1947 fand übrigens im Stübli unseres Gasthofs das Essen mit den Kirchenleuten statt.» Der ‹Engel› ist ein sehr geschichtsträchtiges Lokal, denn es diente nicht nur den katholischen Würdenträgern als Restaurant, es war auch Schauplatz eines Dramas: Der Zürcher Straftäter Hans Vollenweider erschoss im ‹Engel› bei seiner Verhaftung einen Polizisten, indem er durch die Hotelzimmertüre schoss. Er wurde 1940 zum Tode verurteilt und in Sarnen mit der Guillotine hingerichtet, obwohl der Todesstrafe in der Schweiz bereits 1938 durch eine Volksabstimmung abgeschafft worden war.
Für Raphael Wey ist der Beruf des Kochs «unheimlich spannend. Da kommen mittags alle miteinander und wollen essen, es hat ein paar Vegetarier dabei, einer leidet an Laktoseintoleranz, ein anderer sagt gleich, dass er es sehr pressant hat; das ist jeden Tag anders. Und am Abend hat man einen Anlass für eine grosse Gruppe, die kommen dann aber eine halbe Stunde zu früh, obwohl man vereinbart hat, dass sie eher eine halbe Stunde später als zum vereinbarten Termin kommen… Ich habe einfach den Plausch daran, das ist irgendwie auch zu fünfzig Prozent ein Hobby.» Er experimentiert gerne mit Ingwer, Bambus und exotischen Früchten und liebt es, mit der Säure zu spielen. «Das mit der Säure und der Schärfe probiere ich gerne aus. Ich finde es toll, wenn es einem im Mund alles zusammenzieht – natürlich nur ein bisschen. Aber für mich selbst koche ich am liebsten Braten mit Härdöpfelstock, mit einem feinen Saucenrüebli. Wir haben jetzt einen Kartoffelstock mit Wasabi auf der Karte, dazu Rindfleisch mit Apfel-Salsa, da kommt wieder die Säure ins Spiel. Ich gehe übrigens auch gerne Holunder pflücken oder Bärlauch sammeln. Und die grünen Nüsse, die wir einlegen und die dann schwarz werden. Mit den Pilzen habe ich es nicht so, ich sammle lieber andere Kräutchen.»
Wie bei vielen Gastro-Ehepaaren sind bei Weys die Aufgaben klar verteilt. «Sie ist im Service, sie will natürlich, dass die Teller so schnell wie möglich, heiss und perfekt rauskommen. Ich denke manchmal, das ist alles so, doch sie reklamiert ‹der ist nicht heiss, und der ist am Rand noch dreckig›. Aber das ist schon richtig so, sie ist ja beim Gast. Da finden wir immer rasch eine Lösung.»